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Datenaffaire Episode 56 – Leistungssport & Datenanalyse für Maschinenbauer

Ist der industrielle Mittelstand schon bei KI-gestützter Produktion angelangt?


Die Tech-Ökonomin Annika Bergbauer hat unsere Kollegin Manuela Hebel in ihren Podcast „Datenaffaire“ eingeladen, um dieser Frage nachzugehen und mehr darüber zu erfahren, wie es im deutschen Maschinen- und Anlagenbau um die Themen Datenanalyse und Predictive Maintenance steht.


Bei dem Gespräch, das hier in voller länge zu hören ist, geht es aber nicht nur um Manuelas Tätigkeit als Chief Data & Product Officer bei Possehl Analytics, sondern auch um ihre erfolgreiche Karriere im Leistungssport.


Manuela Hebel berichtet von ihren Leidenschaften - auch wenn diese auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam haben.

Herzlich Willkommen Manuela Hebel bei der Datenaffäre.


Ja, danke für die Einladung! Freut mich sehr, hier zu sein.


Wir wollen ja heute so ein bisschen über deine beiden Steckenpferde sprechen: Den Leistungssport und Data Science. Haben Sie irgendwas gemeinsam? Brauchst du dafür bestimmte Charaktereigenschaften, so wie z.B. Disziplin, um das beides auszuführen, oder gibt es da so eine gemeinsame Motivation, Dinge ganz intensiv und tiefgründig zu machen? Wie passt das zusammen?


Also, das ist eine sehr gute Frage. Das sind glaub ich mehrere Sachen. Also zuallererst sind es beides meine Interessen. Das hat jetzt erstmal nichts mit den Sachen zu tun. Ich glaube aber, das ist ganz wichtig, um dann auch erfolgreich zu werden in einem Bereich. Das hat mich bei meinem Sport erfolgreich gemacht und macht mich jetzt auch mit der Data Science, mit dem, was ich hier tue, sehr erfolgreich.


Das reicht aber tatsächlich nicht. Also ich glaube, was auch immer dazu gehört, das ist ein gutes Team. Das braucht man im Leistungssport, aber auch in der Data Science, weil die Aufgaben oft viel zu groß sind, als dass man sie alleine „wuppen“ kann.

Und was für mich auch bei beidem immer ganz wichtig ist, ist die Gleichberechtigung. Das ist ein Thema, das gerade auch in der Data Science immer wieder aufkommt, weil es doch ein sehr männerdominiertes Feld ist. Daher ist es ganz wichtig, dass man Gleichberechtigung auch lebt. Im Sport habe ich es auch erlebt: Ich war ja im Eishockey und Inline-Hockey, Rugby und im Ice Cross Downhill. Das sind alles Sportarten, die männerdominiert sind.


Was es auch gemeinsam hat, ist die Präzision, finde ich. Im Leistungssport bewegt man sich ja, wenn man ganz oben mitspielen will, wirklich in den letzten paar Prozent, die man noch rausholen kann. Und auch beim Trainieren von KI-Modellen geht es darum, ganz präzise vorzugehen am Anfang schon bei der Datenerfassung. Messe ich denn auch wirklich das, was ich messen will? Wie präzise messe ich, also wie groß sind meine Fehler, die ich da mitmesse?

Wie präzise bin ich auch in der Datenauswahl? Ja, ich kann natürlich schon hergehen und 1000 Datenpunkte nehmen und sie mal reinhauen, aber dann weiß ich hinterher relativ wenig, warum mein Algorithmus jetzt noch das vorhersagt, was er vorhersagt. Und da ist es vielleicht manchmal geschickter, präzise auszuwählen. Ja und dann natürlich auch in der Programmierung. Da geht es ja ohnehin um Präzision und Genauigkeit, sonst läuft der Code nicht. Ja, also das ist definitiv ein Thema, was sehr ähnlich ist, keine Frage.


Siehst du, ich dachte du sagst, bei den letzten paar Prozent – das ist immer meine Erfahrung bisher – das erste Modell, das man mal laufen lässt, gibt schon so ‘ne ganz gute Schätzung ab und dann wird es wirklich nur noch in ganz winzigen Schritten besser.


Genau, genau. Da hast du dann vielleicht noch die Möglichkeit, so ein paar Prozent bessere Vorhersagekraft rauszuholen, aber viel ist da oft nicht mehr zu holen. Außer man hat den entscheidenden Datenpunkt, den entscheidenden Prädiktor, wie die Statistiker sagen, vergessen. Dann ändert sich natürlich viel, aber oft hat man den schon mit dabei.


Jetzt hast du vorhin schon gesagt, du bist als Frau in den Männerdomänen unterwegs. Du hast ja auch schon relative krasse Sportarten gemacht – gerade mit dem Ice Cross Downhill. Da musste ich erst mal Googlen, was das ist und wie das aussieht. Aber auch Eishockey und Rugby sind ja kontaktintensiv. Ist das etwas, wobei du sagst „jetzt bin ich schon ein bisschen abgehärtet und das hilft mir irgendwie, die Männerdomäne in der Data Science wegzustecken“ oder ist das was ganz anderes?

"Was bringt Talente zum leuchten?" - Diese Frage beantwortet Manuela Hebel beim Event "Talente für die Region" in Augsburg.

Also ich glaube, es ist weniger der Kontakt beim Sport, der jetzt also abhärtet für die Arbeit jetzt, als die Tatsache, dass ich mich viel unter vielen Männern aufgehalten habe und mit ihnen sowohl gemeinsam etwas geleistet als auch gleichzeitig mit ihnen konkurriert habe. Man konkurriert ja gleichzeitig um die Aufstellungsplätze und muss aber dann doch als Team funktionieren. Und ich konkurriere natürlich auch mit meinem Gegner. Den will ich natürlich besiegen und da, glaube ich, habe ich aus meinem Sport einfach viel gelernt, wie ich mit so einem Haufen Männern umzugehen habe.


Dass ich mich auch als Frau vielleicht mehr beweisen muss noch an vielen Stellen, das ist mir vielfach passiert im Sport.

Dass ich wirklich betteln musste bei Trainern von eigentlich männlichen Teams, um mittrainieren zu dürfen. Da musste ich dann meine ganze Karriere aufzählen und auflisten, damit die mal gesagt haben „OK, kannst einmal vorbeischauen“ und dann ist es mir wirklich mehrfach passiert, dass ich dann nach dem ersten Training 5 mal gefragt habe „Und? Passts? Kann ich wiederkommen?“ und dann haben die gesagt „Ja, schon“ und dann 2 Wochen später kamen sie an mit: Also es wäre toll, wenn ich öfter mitmache, weil ihre Männer jetzt auch besser trainieren. Das habe ich tatsächlich schon öfter erlebt. Und das ist einfach doch nochmal an vielen Stellen ein anderer Umgang.


Total! Das ist aber auch ein Thema, was du jetzt gerade benannt hast, das habe ich auch gerade im Arbeitskontext zu Diversity diskutiert. Dass Männer eher für ihr Potential befördert werden und Frauen eher für die Leistungen, die sie schon erbracht haben.


Ja zum einen das und zum anderen – und das ist leider sehr traurig - als Psychologin bin ich ja auch mit dieser Genderforschung ein bisschen betraut und was hier sehr traurig ist, ist dass die Forschung zeigt, dass nach wie vor Männern mehr Kompetenz zugeschrieben wird als Frauen bei gleicher Ausbildung und gleichem Background. Das ist jetzt aber tatsächlich was, was die Gesellschaft als Ganzes mitträgt. Also auch Frauen! Das ist was, was nicht nur Männer Frauen gegenüber bringen, sondern auch Frauen anderen Frauen gegenüber. Das ist natürlich verstärkt in Domänen, in denen hauptsächlich Männer unterwegs sind. Das ist tatsächlich ein Thema, das mich immer wieder sehr bewegt und ich glaube, wir kriegen das auch nur aufgebrochen, wenn wir forcieren, dass Frauen in Männer-Domänen reinkommen, weil sich Systeme von allein meistens nicht so schnell verändern, wie wir es gerne hätten.


Und das fand ich so krass – das hast du ja im Vorgespräch erzählt –, dass in der ersten Eishockey-Bundesliga Frauen nicht bezahlt werden und Männer schon. Und das finde ich irgendwie ganz seltsam, weil da reden wir ja nicht mal von einem Pay Gap, sondern „Non-Pay“.


Non-Pay! Genau! Es ist tatsächlich so. Und selbst in der besten Liga der Frauen in Kanada. Da hab ich auch mal eine Saison gespielt. Selbst da sprechen wir nur von Semi-Profi Bereich und das bedeutet dann, dass Spielerinnen noch Unkosten mittragen, sich aber über eigene Sponsoren refinanzieren können. Also da ist auch noch kein Gehalt im Spiel und das ist natürlich echt ein Riesen-Unterschied und ich hatte tatsächlich jetzt kürzlich einen Fall, den ich jetzt mit dem Finanzamt verhandle. Da geht es darum, ob mir mein Sport nützt – jetzt habe ich ja den Zimmersport gegründet, also ich glaube tatsächlich ja – und da bin ich jetzt am Verhandeln, ob ich da überhaupt Unkosten für geltend machen kann, weil ich damals keinen Cent verdient habe.

Und ein Mann, der 200€ im Monat bekommt für seinen Sport, wenn er ganz unten irgendwo mitmischt, der könnte das tun. Also das ist schon enorm, wie die auch von der Gesetzgebung her da tatsächlich noch ein Ungleichgewicht an der Stelle herrscht.


Jetzt will ich so ein bisschen den Schwenk rüber machen zur Daten-Analyse. Für mich würde es jetzt irgendwie naheliegen – es gibt ja auch Podcasts, die sich irgendwie mit Fußball beschäftigen und sich dann angucken, wie oft wurde da aufs Tor geschossen und wie viele von diesen Chancen wurden umgewandelt. Hast du sowas mal für deine Sportarten angeschaut?


Ich habe es tatsächlich im Rahmen der Ausbildung zum Data Scientist als einen Beispiel Case gehabt und ich glaube, das ist auch ein sehr geläufiger Beispiel Case. Da hat man ja also die bekannten Datensätze, die dann im Netz rumfliegen, und dann ging es tatsächlich um Vorhersage von Spielergebnissen. Das waren allerdings leider Fußball-Teams. Ich hab es für Eishockey tatsächlich noch nicht gemacht, aber das ist ja auch das Gleiche dann in Grün. Aber das ist ja auch tatsächlich ein Anwendungsfeld der Data Science im Sport – grad Sportwetten. Das ist ja das das Ding schlechthin. Also wenn man da mit einem guten Modell vielleicht auch Ergebnisse vorhersagen kann, dann kann man da wirklich Geld verdienen.


Jetzt hast du gerade so in deiner „Ausbildung zum Data Scientist“ gesagt, als wäre das so ein offizielles Zertifikat, was man von der IHK verliehen bekommt. Was heißt das denn? Wie bist du denn zum Data Scientist geworden?


Über Umwege. Ich bin eigentlich Diplom-Psychologin vom Background her und vielen sagen dann immer „Was? Was hat denn das bitte mit Data Science zu tun und mit KI?“ und eigentlich ist das alles sehr nah beieinander. Psychologen haben eine enormen fundierte Statistik-Ausbildung und darüberhinausgehend noch eine gute Ausbildung in der Regel in wissenschaftlicher Forschungstheorie. Das heißt, sie befassen sich viel damit, wie man denn Erkenntnisse gewinnt und wie man vor allem Daten so erhebt, dass man auch das misst, was man messen möchte. Also da geht es viel um die Frage der Datenvalidität, Reliabilität, also spricht der Datenqualität.

Und das ist tatsächlich etwas, was mir jetzt enorm viel bringt, weil ich merke, dass in anderen Disziplinen, wie Informatik, Mathematik, Physik, wo man ja doch relativ präzise messen kann, die Frage „Wie valide sind meine Daten?“ gar nicht so sehr aufkommt und deshalb auch da die Ausbildung entsprechend nicht so ausführlich ist.


Jetzt haben wir aber gerade in dem Maschinenbau-Kontext, in dem wir uns bewegen, schon öfter mal Fälle, wo wir kreativ werden und uns überlegen müssen: Ja, wie zum Teufel können wir jetzt die Qualität eines Ersatz- also eines Teils, das ausgewechselt werden muss, messen? Ja, da kann ich jetzt vielleicht schon irgendwelche wirklichen physikalischen Messungen durchführen oder ich lasse halt einfach den erfahrenen Mitarbeiter mal auf Likert-Skala bewerten, wie gut dieses Teil ist. Von schlecht bis gut – 5 Skalen-Punkte und dann soll der mal ein Votum abgeben. Und auf diese Weise greifen wir auch menschliches Know-How ab.


Wir digitalisieren das Know-How des erfahrenen Mitarbeiters, was oft über eine physikalische Messung hinausgeht, weil sie auf Erfahrungen beruht, die mehr Datenpunkte miteinbezieht, als wir vielleicht auf dem Schirm haben.

Das ist das eine. Wo Psychologen aber noch eine gute Vorbildung haben, ist beim Verständnis der Lern-Mechanismen, auf denen diese Maschine Learning Algorithmen beruhen. Was ganz wenig bekannt ist, ist dass die Maschine Learning Algorithmen fast alle mathematischen Abbildungen von psychologischen Lernmodellen sind. Zum Beispiel das Reinforcement-Learning ist eine mathematische Darstellung von operanter Konditionierung. Andere Mustererkennungen in Algorithmen laufen nach den Prinzipien der klassischen Konditionierung ab, also des Erkennens, was gemeinsam auftritt und was eher nicht gemeinsam auftritt. Das heißt, ganz viele Algorithmen basieren auf psychologischen Lerntheorien. Das bedeutet auch wieder übersetzt, dass wir unsere Machine Learning Modelle so trainieren oder ihn so lernen lassen, wie auch Menschen lernen.

Manuela Hebel schraubt nicht nur an Datensätzen herum. Auch bei ihren Team-Kollegen hilft sie gerne aus. Und eins ist klar: Ihre Leidenschaft steckt an - das gilt für Kollegen und Eishockey sowie für Kunden und Data Science!

Du hast es ja gerade schon angedeutet: In deinem Hauptjob bist du ja unterwegs bei Possehl Analytics als Chief Data und Chief Product Officer und ihr seid unterwegs für Maschinenbauer und nutzt IoT also das Internet of Things, um daraus Daten zu generieren. Und es geht ja vor allen Dingen, wenn es um Maschinenbauer geht – die wollen ja verhindern, dass ihre Maschinen stillstehen. Was macht ihr da schon so für Analysen?


Also, wir sind – muss man ganz ehrlich sagen – noch weit weg von KI-Anwendungen. Das liegt weniger an uns oder an der Technik als an der Tatsache, dass wir oft noch eine sehr wüste Datenlage vorfinden oder zum Teil gar keine Daten oder nur wenige. Das heißt, was wir tatsächlich mit vielen Maschinenbauern machen, ist sie jetzt mal auf dem Weg zu begleiten, bis wir dann irgendwann mal KI-getrieben irgendwelche Fehler-Vorhersagen machen lassen können und dann vielleicht sogar direkt im System automatisiert eingreifen können, ohne dass da noch jemand einen Kopf drücken muss. Aber da sind wir leider noch relativ weit entfernt davon.


Wir nehmen die Maschinenbauer wirklich von Anfang an die Hand und starten in der Regel mit der Auswertung der Logbücher. Und zwar nennen wir das mit unserem ANTS Baukasten MyLogAssistant oder MyErrorlog – das darf der Maschinenbauer auch selbst entscheiden, wie das heißt. Im Prinzip ist es eine – vereinfacht gesagt – Fehlerzählung über die Zeit. Wir zählen die verschiedenen Fehler über die Zeit und ein erfahrener Produktionsleiter kann dann relativ schnell anhand der Trends erkennen, ob sich irgendein Fehler häuft und da jetzt bald was kaputtgehen könnte.


Fehler zählen klingt jetzt fast etwas zu einfach, weil oft steckt doch eine sehr komplexe Logik dahinter, vor allem bei sehr großen Anlagen, wie einer Druckmaschine zum Beispiel. Da werden Fehler nur unter ganz bestimmten Bedingungen gezählt, damit wir auch die Folgefehler ausschließen können und möglichst zu den ursächlichen Fehlern kommen. Also da ist schon relativ viel Know-How dahinter, aber es ist eben noch keine wirkliche KI. Wir brauchen immer noch den Menschen und den Experten, um zu beurteilen, ob das, was wir da jetzt in den Daten-Trend sehen, jetzt problematisch ist oder ob das was ist, das immer wieder mal vorkommt, aber nichts zu befürchten ist.


Aber das ist tatsächlich der Teil, der unseren Kunden auch an meisten Mehrwert bringt, haben wir jetzt über viele Kundenfeedbacks erfahren. Was wir auch tatsächlich machen, ist dass wir natürlich Sensordaten abgreifen und die entweder direkt visualisieren oder verrechnen zu komplexeren Werten und die dann visualisieren. Also natürlich auch ganz klassisch Dinge, wie OEE, Performance, solche Geschichten. Aber durchaus auch mal irgendwelche Temperaturen, Drücke, Geschwindigkeiten, Durchflüsse… Was man halt gerade braucht, um zu produzieren.


Aber das finde ich jetzt total spannend, dass du erzählst, naja ihr seid im Moment eigentlich auch noch damit beschäftigt, was gibt’s denn eigentlich für Daten? Und wie kann man die, die bereits da sind, gut darstellen? Ich bin ja viel in der Versicherungsbranche unterwegs. Da gibt's von Natur aus viele Daten, aber die liegen irgendwo verstreut. Also es ist immer dieser Vorbereitungsprozess, der immer noch stattfindet in vielen Branchen, mit denen ich so spreche.


Ja also auf jeden Fall ist es auch ein Thema, was wir haben. Dass wir, wenn Daten vorhanden sind, dann sind die auch total verteilt und zwar sind die auch in den verschiedensten Medien verteilt. Das geht vom Aktenordner… Wenn es noch schlimmer ist, ist es irgendein Zettel in einer Schublade, wo was draufsteht. Dann gibt es den Aktenordner – das ist dann schon halbwegs systematisiert. Manchmal ist das noch irgendwo lokal gespeichert auf irgendeinem Rechner in einer Excel-Tabelle. Vielleicht sogar auf dem Server, wenn wir Glück haben. Oder wir haben auch Datenbanken, die wir finden. Also gerade für Maschinendaten – das sind dann ja doch öfter große Datenmengen. Da haben dann unsere Kunden schon auch Server laufen mit Datenbanken drauf, wo die ihre Daten ablegen, aber das ist eben nur ein Teil der Miete.


Wir haben immer wieder den Fall, dass Kunden mit dem Buzzword „Predictive Maintenance“ kommen. „Wir wollen dynamisch warten können. Wir wollen vorher wissen, was kaputt geht, dann können wir den Service schon entsprechend steuern.“

Das ist zwar eine super Idee, aber oft haben wir das Thema, dass wir zwar einen Haufen Maschinendaten haben, die auch oft gar nicht so schlecht abgelegt sind und systematisiert. Jetzt hilft es aber nichts, wenn ich die Wartungsdaten ganz woanders liegen habe und es auch keine Möglichkeit gibt, die wirklich miteinander zu verknüpfen.


Das heißt, dann kann ich auch keine Wartungsdaten mit irgendwelchen Fehlermeldungen verknüpfen. Und selbst, wenn wir das können – haben wir auch manchmal – fehlt uns dann oft der entscheidende Datenpunkt und das ist dann eben zum Beispiel die Qualität eines Bauteils. Wenn ich vorhersagen können will, wann ich welches Teile wechseln muss, das heißt ja übersetzt gesagt, ich muss vorhersehen können – oder der Algorithmus muss vorher sehen können – wann welches Teil einen schlechten Zustand hat, weil dann wechsle ich es. Das ist die Konsequenz.


Jetzt wird es vielleicht zwar die Wartungsaktivität dokumentiert, meistens auf Papier. Aber wenn man die dann sogar digitalisiert vorfindet, dann finden wir vielleicht schon Daten vor, wo drinsteht, welches Teil gewechselt wurde, aber viele Service-Mitarbeiter sagen uns auch: Ja, wenn wir schon mal dabei sind, wechseln wir halt gleich auch ein paar Dinge mit. Das heißt, es kann sein, dass da dann auch Teile gewechselt wurden, die eigentlich noch ganz gut waren, vielleicht nicht mehr die besten, aber ganz ok. Eigentlich hätten sie erst in 3 Monaten oder 6 Monaten wieder gewechselt werden müssen.

Das heißt, eine wichtige Information, welchen Zustand hatte dieses Teil, erfassen wir nicht und das ist die entscheidende Information, die wir für so einen Predictive Maintenance Algorithmus – so ein Modell – brauchen.

Digitalkonferenz 2022 - Wer aktiv die Digitalisierung des Maschinenbaus mitgestalten will, muss am Ball bleiben... oder am Würfel!

Ich kann mir auch vorstellen, dass es da nicht genug Big Data gibt, also dass dieses Teil vielleicht einmal im Jahr kaputtgeht oder alle 3 Jahre mal, aber eigentlich müsste ich ja Hundert Teile haben, um daraus gescheit Vorhersagen machen zu können.


Genau richtig, das ist das nächste Problem. Ich würde mal sagen, der deutsche Maschinenbau ist einfach doch schon technisch sehr gut und da haben wir wirklich das Problem, dass so gravierende Fehler, wie ein Totalausfall der Anlage, glücklicherweise sehr selten vorkommen. Es ist allerdings sehr unglücklich für solche Modelle, ja für die Algorithmen, weil die natürlich auch viele Events brauchen, viele Vorkommnisse, dass so ein Ding mal stillsteht. Und wenn wir das halt nur alle 3 Jahre mal haben, so einen totalen Ausfall, dann müssten wir viele Jahrhunderte Daten sammeln wahrscheinlich, dass wir bzw. der Algorithmus diese komplexen Zusammenhänge verstehen kann.


Jetzt haben wir über die Herausforderungen gesprochen und dass es ja auch einfach noch sehr viel Data Engineering zu tun gibt. Wenn du dir was wünschen kannst für Analysen, die du gerne für eure Kunden machen würdest, wäre das das Predictive Maintenance? Oder gibt es da irgendwas Cooles, was du schon immer mal machen wolltest?


Also Cooles gäb’s vieles. Man muss unterscheiden zwischen „das finde ich cool“ und was ist auch wirklich wirtschaftlich interessant. Wirklich wirtschaftlich interessant wäre in der Tat Predictive Maintenance, weil es eine dynamische Wartung erlauben würde. Das spart nicht nur den produzierenden Unternehmen Geld, weil die ihre Maschinen zum Teil länger betreiben können. Auch ein Hersteller, also ein Anlagenbauer, könnte besser Garantien aussprechen, wenn er es sieht live, wie ein Kunde, ja wie ein produzierendes Unternehmen seine Maschine benutzt. Dann kann er eben auch sagen „Jetzt hör mal, wenn du weiter deine Maschine auf Hochtouren fährst, dann brauchst du übermorgen einen Service. Wenn du mal langsamer machst, dann können wir auch erst in zwei Jahren kommen“. Also das wäre eine Win-Win-Situation für den Anlagenbauer, weil er natürlich auch monitoren kann, wie die Benutzung seiner Anlagen aussieht und auch im Zweifelsfall Garantiefälle abwehren kann.


Aber auch für die produzierenden Unternehmen, weil sie sich unter Umständen vorgezogene Wartungen, die mal so prophylaktisch gemacht werden, sparen können. Also das ist tatsächlich ein Anwendungsfeld und on Top kommt dazu, dass natürlich auch die Service-Mitarbeiter viel besser gesteuert werden können, wenn wir vorher schon wissen, wann was gebraucht wird.


Momentan läuft es ja so, dass Servicemitarbeiter eigentlich permanent am Feuer löschen sind. Ja, die haben heute eigentlich vor zum Kunden A und B zu fahren. Dann ruft C an, weil bei dem irgendwas total stillsteht. Also da läuft selten ein Tag wie geplant.

Und wahrscheinlich haben sie das Teil, was gebraucht wird, auch nicht gerade im Auto liegen.


Richtig, die fahren hin und dann müssen sie erst mal gucken, genau, und die haben das dann blöderweise gar nicht dabei. Bedeutet dann Stillstand für den Kunden unter Umständen über mehrere Tage, was richtig viel Geld kostet. Also das wäre tatsächlich wirtschaftlich betrachtet, dieses Predictive Maintenance, das wäre wirklich sinnvoll, um den Service zu steuern. Aber dem voraus kommt ja, dass ich vorher weiß, welcher Fehler oder wann welches Problem auftritt. Und das sind wirklich Beträge, also wenn eine Produktionsstunde halt 1000€ kostet und dann mal so ein Tag irgendwie die Anlage steht…


Also der Business Case für Data Analytics rechnet sich.


Ja, der rechnet sich und zwar gleich auf 2 Ebenen: einmal beim produzierenden Unternehmen, weil wir z.B. Ausfälle vorhersehen können. Wir können Reformen steigern, die OEE steigern – also hier ganz klare Mehrwerte. Aber auch beim Anlagenbauer selbst, weil der jetzt ein neues Produkt hat, ein digitales Produkt, eine Data Analytics Plattform, die er gemeinsam mit seinen Maschinen und Anlagen weiterverkauft, weil ja das produzierende Unternehmen einen Mehrwert hat. Das ist das eine, das andere ist aber durch dieses neue digitale Produkt ist es jetzt möglich, den Service besser zu steuern – Thema Predictive Maintenance.


Aber auch den Aftermarket ganz anders zu erschließen, also den Ersatzteilvertrieb auszuweiten, weil der Anlagenbauer jetzt einen besseren Überblick darüber hat, wie seine Anlagen im Feld laufen und wann wo etwas anfallen wird. Und dadurch natürlich viel gezielter auch Ersatzteile vertreiben und seinen Kunden einen besseren Service bieten kann, was einen enormen Wettbewerbsvorteil für die Maschinen- und Anlagenbauer bedeutet. Und zu guter Letzt natürlich: Er kann durch die Einblicke in die laufenden Anlagen im Feld auch die Weiterentwicklung der Maschinen und Anlagen ganz anders vorantreiben. Viel nutzenorientierter und kundenorientierter. Also ganz viele Vorteile auch auf Seite der Anlagenbauer.


Wie ist der Weg dahin? Ist das wirklich einfach immer weiter Daten aufräumen? Braucht es da noch mehr Kulturwandel? Wie kommt ihr dahin?


Also das braucht oft mehrere parallele Prozesse. Wir selbst sind agil organisiert und wir nehmen da auch unsere Kunden immer im Projekt mit auf unseren agilen Weg.

Digitalisierung ist mehr als nur Technologie. Zusammen mit ihren Kolleg:innen leitet Manuela Hebel erfolgreich Workshops zu agilen Arbeitsweisen.

Wir starten typischerweise nicht mit der Frage „Cool, wir haben wir Daten. Was können wir da machen? Wie können wir die verrechnen? Wie können wir die anzeigen?“, sondern auch einen Schritt davor. Und zwar überlegen wir uns als allererstes ein Geschäftsmodell. Das ist tatsächlich erste Schritt in so einem iterativen Prozess, dass wir uns überlegen „Okay, was haben wir denn für Personas, also für Gruppen an Menschen, die etwas mit den Daten anfangen könnten?“. Ja, und was haben die denn für Pains und Gains? Wo drückt denen der Schuh? Und aus denen können wir dann ableiten, was sie bräuchten, damit wir diese Schmerzen beheben können. Und wenn wir das abgeleitet haben, da kommen oft Sachen raus, die mit Daten und Technik und Digitalisierung oft gar nicht viel zu tun haben, aber einige dann doch und dann können wir tatsächlich ganz konkret dann ableiten, welche Features jetzt so eine Datenanwendung denn überhaupt mitbringen muss, damit die überhaupt einen Mehrwert stiftet? Denn nur dann lässt sich das Ding auch verkaufen!

Wir arbeiten ja mit Anlagenbauern zusammen und die verkaufen jetzt nicht mehr nur ihre Anlage, sondern auch ein digitales Produkt. Also da geht es los. Und wenn wir da erstmal einen guten Business Case haben, machen wir weiter mit einem Klick-Dummy. Also wir nennen das den interaktiven Prototypen.


Das hat sich als sehr, sehr sinnvoll bewährt, dass wir erstmal mit dem starten. Zum einen ist die Schwelle natürlich niedriger: Der Kunde muss nicht gleich mit einer riesigen Summe einsteigen, sondern wir bauen mal was und relativ schnell hat er was in der Hand und kann auch zu seinen Kunden laufen. Zu einer Druckerei z.B. und sagen: „Hey, wie sieht’s denn aus? Wäre das was für dich? Klick doch mal drin rum. Kannst du das gebrauchen? Wenn ja, wie viel würdest du dafür ausgeben?“. Dann haben wir gleich ein Feedback und können auch nochmal Veränderungen miteinbauen bevor wir wirklich in die Entwicklung gehen.

Und erst dann eigentlich, also in der dritten Iteration gehen wir wirklich in die Umsetzung und individualisieren da unsere Plattform für den Maschinenbauer.


Das ist tatsächlich so typischerweise der Case und wenn dieser MVP, also das Minimal Viable Product, für den Kunden fertig ist und der in den Markt gegangen ist damit und auch wieder Feedback gesammelt hat, wenn die Leute dann auch wirklich damit arbeiten, erst dann fangen wir an weitere Features anzustöpseln.

Und wir merken da sehr häufig, dass es gut angenommen wird und bekommen ganz viel Rückmeldung von den Kunden, was man noch bräuchte, was hier noch toll wäre. Und dieser ganze Prozess ist ja jetzt eigentlich nur der erste Schritt auf dem Weg hin zu wirklich KI-getriebenen, voll automatisierten Produktionen. Also, da ist noch viel zu machen, das ist jetzt nur ein erster Schritt.


Parallel gehen wir auch her und schauen uns die Dateninfrastruktur an im Unternehmen – und zwar im ganzen Unternehmen. Nicht nur in der Produktion, sondern auch, wie sieht’s denn aus im Kundenmanagement. Also haben wir CRM- System? Meistens ja. Wird es denn auch wirklich so genutzt, wie es vorgesehen ist, oder nur so hier und da mal von der einen Abteilung, von der anderen aber nicht. Die macht das noch in Excel. Das sehen wir leider sehr oft.


Also wir suchen mal die ganzen Datenpools und Datensilos zusammen in so einem Unternehmen und setzen da mal eine Datenstrategie auf. Wie können wir diese Infrastruktur optimieren? Und so optimieren, einmal für eine Datenarchivierung, damit wir die langfristig speichern können. Aber auch noch zweite Schicht für die Datenanalyse, damit wir da eine zweischichtige Datenhaltungsstruktur haben bestenfalls. Denn: Was gut fürs Archivieren ist, ist nicht unbedingt gut fürs Rechnen und was gut fürs schnelle Rechnen ist, braucht relativ viel Platz meistens. Und Speicher, der wird dann teuer. Das heißt, wir machen da oft so einen Hybrid und dann haben wir mal die Grundlagen geschaffen. Aber auch da stellen wir uns bei der Dateninfrastruktur die Frage, was wollen wir denn mit den Daten anfangen? Weil je nachdem, muss die so oder so aussehen.


Ja, also ihr designt im Prinzip eure Technologie für die Menschen, bindet die ein mit dem, was sie brauchen. Jetzt haben wir ja schon eine ganze Weile gesprochen – was können denn jetzt unsere Zuhörer aus dem Gespräch, das wir jetzt gerade geführt haben, für ihren Alltag mitnehmen und sich vielleicht auch morgen nochmal dran erinnern und etwas anders machen?


Ich glaube, was ganz wichtig ist, das man mitnehmen kann, ist dass KI toll ist. Das ist jetzt ein Buzzword und es wird uns noch sehr viel überraschen an vielen Stellen, vor allem wenn ich jetzt zum Beispiel an ChatGPT denke, das kürzlich erst rausgekommen ist. Das haut einen schon echt vom Hocker, was KI schon alles kann. Aber wir können uns auch merken, dass KI uns nicht so schnell ablösen wird und uns Menschen ersetzen wird. Weil was oft vergessen wird oder vielen einfach nicht bewusst ist, ist dass KI für einen bestimmten Zweck gebaut wird. Also eine KI-Anwendung kann nicht alles, aber oft ist die Erwartung da: „Woah, jetzt haben wir eine KI. Die kann alles“. Das kann sie nicht und das wird sie sobald auch nicht können.


Ja, da sind wir wieder beim berühmten Erwartungsmanagement.


Genau!


Dann Manuela, vielen Dank, dass du heute zu Gast bei der Datenaffaire warst.


Vielen Dank für die Einladung. Hat mich sehr gefreut!


 

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